Schriftstellerei: ChatGPT als Korrektor
von Thomas Poppner
Ich befinde mich gerade in einer sonderbaren Situation. Der Text des 1. Bandes meiner Fantasygeschichte steht, aber ich warte noch auf zwei Testleser. Die lesen Band 1 eigentlich nur, damit sie später bei Band 2 den Anschluss verstehen. Aber man soll ja nicht ausschließen, dass von ihnen doch noch ein sinnvoller Vorschlag kommen kann. Und so warte ich, bis hoffentlich bald die Rückmeldungen eingehen. Gleichzeitig bereite ich die Veröffentlichung vor.
Was tut man also mit seiner Zeit? Man testet mal das kostenpflichtige GPT4-Modell für 20 Dollar und schaut, was es denn gegenüber dem 3er-Modell mehr kann.
Kann ChatGPT Rechtschreibung?
Klare Antwort: Es kann. Vor einiger Zeit hatte ich mal eine vertrackte Kommasituation. War eine fixe Idee, mal ChatGPT zu bemühen. Und siehe da, es hat mir nicht nur erklärt, wo ein Komma hinkommt, sondern die entsprechende Regel ausführlich beschrieben.
Ich arbeite ja mit Papyrus. Vor vielen Jahren habe ich es mir angeschafft, weil ich mit dem Programm mit der besten Rechtschreibkorrektur, dem Duden-Korrektor, arbeiten wollte. Dieser Duden-Korrektor ist nicht schlecht und fand deutlich mehr Fehler als die "normale" Rechtschreibprüfung von Programmen wie Word. Aber von perfekt ist er weit entfernt – zumal Duden in den letzten Jahren scheinbar einige Experimente damit gemacht hat. Das Ergebnis waren schlechtere Prüfungsergebnisse. Aber Hauptsache Gendern in den Duden aufnehmen. Das war sicher wichtiger.
Wie kann ChatGPT meinen Romantext auf Rechtschreibung prüfen?
Beginnen wir mal mit dem, was nicht geht: Den kompletten Romantext im Eingabefeld der KI eingeben, funktioniert schon mal nicht.
Bei zwanzig Seiten steigt die KI mit dem GPT4-Modell auch aus. Aber 10 Buchseiten schluckt es. Bei einem Buch von 300 Seiten hätte ich den Text also in 30 Häppchen zu unterteilen. Das ist ja jetzt keine unmögliche Aufgabe, dafür, dass ein wirklich brauchbares KI-Modell sich den Text mal ansieht.
Ich habe einen furchtbar einfachen Befehl gegeben:
Bitte prüfe den nach dem Doppelpunkt folgenden Romantext auf Rechtschreibung: $ROMANTEXT
Dieser Romantext entsprach etwa den ersten 10 Seiten der Leseprobe. ChatGPT antwortete Folgendes:
Der Text ist sehr gut geschrieben und weitestgehend frei von Rechtschreibfehlern. Hier sind jedoch ein paar kleinere Anmerkungen:
- Bei "Steinerne Stufen, gesäumt von einem Eselspfad führten nach oben, um Passagiere und Waren sicher ins Landesinnere zu bringen." fehlt nach "Eselspfad" ein Komma. Es sollte heißen: "Steinerne Stufen, gesäumt von einem Eselspfad, führten nach oben, um Passagiere und Waren sicher ins Landesinnere zu bringen."
- Bei "Doch nun, da der Tag sich dem Ende neigte, waren alle hereinkommenden Schiffe entladen und ablegen tat niemand mehr." könnte man "ablegen" durch "abgelegt" ersetzen, um das Tempus konsistent zu halten: "Doch nun, da der Tag sich dem Ende neigte, waren alle hereinkommenden Schiffe entladen und abgelegt hatte niemand mehr."
- "Ich werde dir erklären, was gerade geschieht, Tana." könnte besser als "Ich werde dir erklären, was gerade vor sich geht, Tana." formuliert werden.
Ansonsten ist der Text sehr flüssig und angenehm zu lesen. Gute Arbeit!
Ich muss sagen, ich bin davon relativ begeistert.
ChatGPT ist intelligent, aber bitte das Selbstdenken nicht vergessen
Ich bin ein Fan von ChatGPT, das gebe ich offen zu. Weil ich ein wenig programmieren kann und wirklich nicht die geringste Ahnung habe, wie dieses Programm im Inneren so arbeitet, hat es für mich etwas Mystisches.
Das ist aber auch ein Grund, immer misstrauisch zu bleiben. KI kann heute schon viel, aber ich würde davon abraten, es Aufgaben erledigen zu lassen, die ich nicht auf Richtigkeit prüfen kann.
Wenn ich meinen Romantext auf Rechtschreibung prüfen lasse, dann hat dieser Text bereits eine sehr gute Qualität. Ich kann Rechtschreibung, wobei wir uns sicher alle einig sein werden, dass niemand diesen Scheiß absolut lückenlos können kann. Aber ich habe einen guten Kenntnisstand und glaube, die meisten Leute in die Tasche stecken zu können. Wer immer die KI eine Rechtschreibprüfung machen lässt, sollte in der Lage sein, deren Ergebnisse zu hinterfragen. Aber eigentlich ist das klar, denke ich.
Ich habe zum heutigen Zeitpunkt tatsächlich nur zehn Seiten prüfen lassen. Das Ergebnis sieht man ja oben. Ich finde es wirklich vielversprechend.
Update nach 100 Seiten Prüfung
Ich habe tatsächlich ChatGPT mit dem kostenpflichtigen GPT4-Sprachmodell meinen Text prüfen lassen, bzw. bin gerade dabei. Folgendes fällt mir dabei auf:
- ChatGPT springt trotz klarer Anweisungen immer wieder in eine Art Stilprüfung und macht stilistische Vorschläge. Manchmal denkt es daran, auch die Rechtschreibung zu prüfen, manchmal vergisst es sie. Man sollte also nach jedem Abschnitt darum bitten.
- Ein Prüfungsabschnitt besteht bei mir aus um die 10 Bildschirmseiten (DIN A5). Bei 20 Seiten steigt ChatGPT aus. Das Durchkommen ist etwas mühsam, aber den Aufwand wert.
- ChatGPT hat in meinem Text einige Rechtschreibfehler gefunden.
- Aber ChatGPT hätte in meinem Text auch Änderungen vorgenommen, die zu Fehlern geführt hätten (!).
- Insbesondere die stilistischen Vorschläge sind meistens nicht besser als meine Originalsätze. Das liegt aber auch am Fantasycharakter des Textes, der durch einen etwas anderen Satzbau herausgearbeitet wurde.
Auffälligkeiten:
- ChatGPT prüft jeden Abschnitt trotz gleichem Kommando nach anderen Vorgaben.
- Erst bei Seite 120 machte es mich darauf aufmerksam, dass ich nicht die deutschen Anführungszeichen verwende, sondern die Guillemets.
- Es wurde angemeckert, dass ein Satz keinen Punkt hätte, der einen Punkt hatte.
- Es wurde ein Wort kritisiert und das gleiche Wort als bessere Alternative angeboten :)
- Immer wieder musste ich ChatGPT explizit darauf aufmerksam machen, dass ich vor allem die Rechtschreibung geprüft bekommen wollte.
- Als ich nach einer Pause mit dem Korrigieren fortfahren wollte, korrigierte ChatGPT plötzlich Texte, die wie Amazon-Bewertungen klangen und die ich niemals gepostet hatte. Unter anderem ging es um ein Samsung-Handy, das in meinem Fantasyroman natürlich nicht vorkommt und bei dem ich sehr schnell mit der Suchfunktion erkennen konnte, dass ich dazu niemals etwas gepostet habe.
Mein Fazit:
Bitte keine Wunder erwarten. Aber dein Text wird nach Rechtschreibprüfung durch ChatGPT definitiv weniger Fehler enthalten als vorher. Das Arbeiten mit ChatGPT kann durchaus mühselig werden. Man kommt sich vor wie in einer Hotline, bei der man bei jeder Frage mit einem neuen Mitarbeiter verbunden wird. Mal denkt dieser Mitarbeiter mit und arbeitet super. Mal checkt er überhaupt nichts, und muss den Sinn seines Daseins neu erklärt bekommen.
Dadurch ist das Arbeiten mit ChatGPT zäh und nervig. Es meckert sehr viele Dinge an, die nicht falsch sind. Aber es findet auch Fehler. Es macht also durchaus Sinn, ChatGPT zur Rechtschreibprüfung heranzuziehen. Aber die Prüfung läuft nicht so mechanisch ab, wie man es sich wünscht: Text reinkopieren, Fehler angemerkt bekommen. Sehr häufig sind Nachfragen oder Konkretisierungen nötig, damit es arbeitet. Und wahrscheinlich prüft es jeden Abschnitt auf eine andere Weise. Ich empfehle, den eigenen Text damit zweimal durchzugehen, auch wenn man dazu Nerven braucht :)
Update zwei Tage später
Man liest ja aus meinem letzten Fazit heraus, dass der Korrekturvorgang rustikaler ablief, als ich erhofft hatte. Umso mehr wundert mich das heutige Ergebnis zwei Tage später. Ich schreibe noch im gleichen Thread bei ChatGPT (es gibt dort Gesprächsfäden, innerhalb derer die KI auch die Historie noch im Blick hat).
Mein heutiges Ergebnis ist überraschend positiv. ChatGPT versteht heute alles korrekt, prüft immer die Rechtschreibung, findet Fehler und macht wenige stilistische Vorschläge. Die Arbeit läuft heute richtig gut. Da es sich weiterhin um Romantext handelt, der weder besser noch schlechter ist als der bisherige, gibt es für diesen anderen Prüfungscharakter keine äußeren Gründe. Es scheint daher tatsächlich so zu sein, dass ChatGPT tagesabhängig mal mehr und mal weniger in deinem Sinne arbeiten wird.
Wenn es also mal nicht so wirklich läuft – vielleicht einfach mal ’ne Pause machen.
Update: 18. November 2023
Inzwischen habe ich die letzte Rechtschreibprüfung abgeschlossen. Nun stehe ich tatsächlich kurz vor der Veröffentlichung und mache noch einen zweiten Lauf, ChatGPT die Rechtschreibung prüfen zu lassen. Meine Beobachtungen sind unabhängig vom bereits oben Gesagten. Ich werde mich also wiederholen, denn ich füge diesen Abschnitt einfach nur an den Beitrag oben an, ohne ihn nochmal gelesen zu haben.
Das Fazit zuerst: Die Mühe mit ChatGPT lohnt sich. Es hat wieder Fehler gefunden, die ich übersehen hatte. Aber es ist nicht perfekt. Darum hier nochmal eine Zusammenfassung der Vorkommnisse.
- Manchmal geht ChatGPT alle Sätze einzeln durch und bewertet jeden als "korrekt". Dann muss man abbrechen und sagen, dass man nur Rechtschreibfehler genannt bekommen will.
- ChatGPT kann Rechtschreibung relativ gut, aber nicht perfekt. Es meckert Dinge als falsch an, die richtig sind. Also nicht das Selbstdenken ausschalten.
- Mitunter erfindet ChatGPT Rechtschreibfehler, die es nicht gibt. Es schreibt Zitate aus dem Text falsch, die aber richtig sind.
- Durchaus häufiger meckert ChatGPT Fehler an, die nicht falsch sind und wiederholt sie dann noch einmal als richtig.
- Immer wieder muss man es zur Ordnung rufen, wenn es Dinge tut, die man nicht haben will.
Trotz allem: ChatGPT hat bei mir im Text erneut Fehler gefunden. Die Prüfung meines 300-Seiten-Buches schafft man innerhalb einer Stunde. ChatGPT4 kostet 20 Euro für einen Monat. Die Prüfung ist nicht perfekt, aber gerade für Selfpublisher ein Baustein. Zumal man seinen Text ja mehrfach durchgehen kann. Man muss ihn halt in Häppchen von um die 10 Buchseiten aufteilen.
Ich kann dir also durchaus empfehlen, mit ChatGPT deinen Text auf Rechtschreibung zu prüfen. Du musst halt nur wissen, dass es ein kleiner Kampf wird. Deine Textqualität wird danach aber garantiert besser sein als vorher. Dass ChatGPT alle Fehler findet – darauf würde ich mich nicht verlassen. Deine Textqualität sollte also vorher schon gut sein. Wenn das aber (wie bei mir) gewährleistet ist, hast du auf diese Art nochmal eine günstige Instanz, die Fehler findet, die du übersehen hast.
Update 25. November 2023
Ich bekam damals Besuch und musste etwa auf halber Höhe abbrechen. Heute kam ich endlich dazu, meine zweite Rechtschreibprüfung mit ChatGPT abzuschließen. Diesmal lief alles außerordentlich produktiv ab und ChatGPT brauchte nicht in irgendeiner Weise zur Ordnung gerufen zu werden.
Es machte mich auf eine falsche Bindestrichkonstruktion aufmerksam, die ich korrigiert habe. Und es meckerte das Wort "hochhalten" an, das man je nach Wortbedeutung zusammen oder getrennt schreiben kann. Hier lag es mit seinem Verständnis falsch.
Sonst lief dieser Prüfungslauf vorbildlich ab. Möglicherweise hab ich auch die geheime Formel für den Befehlstext gefunden, die ChatGPT keinerlei falsche Interpretation erlaubt. Kann ich mir zwar nicht vorstellen. Aber falls du ebenfalls mal die Rechtschreibung mit ChatGPT prüfen lassen willst, versuch es mal mit folgendem Befehl:
Bitte prüfe folgenden Romantext auf Rechtschreibfehler: $ROMANTEXT
Update 9. März 2024
Heute habe ich meinen Band 2 mit knapp 300 Buchseiten geprüft.
Im Großen und Ganzen hab ich ja schon viel geschrieben. Ergänzend vielleicht noch: ChatGPT 4 nimmt 15 Buchseiten problemlos an. Ich kopiere immer so viele Kapitel hinein, bis 10-15 Buchseiten erreicht sind.
Es bleibt halt bei den vielen unterschiedlichen Prüfungsvorgängen. Man bekommt Routine, was man schreiben muss, um ChatGPT zur Ordnung zu rufen, wenn es wieder mal zu viel des Guten prüft.
Ein Gedanke ist noch neu: Mein Eindruck ist, dass ein Thread auch zu voll laufen kann. Da ChatGPT das vorher Geprüfte mitberücksichtigen will, hatte ich dieses Mal gute Erfahrungen damit gemacht, nach um die 80 geprüften Seiten einen neuen Gesprächsfaden anzufangen. Nervig ist dann, dass man ihm wieder von Neuem seine Existenz erklären muss :) Aber die Ergebnisse scheinen dann besser zu sein.
Diese 80-Seiten-Grenze kam allerdings auch nicht aus dem luftleeren Raum heraus. Plötzlich begann ChatGPT für einen Prüfungsvorgang deutlich mehr Zeit aufzuwenden. Eine Art Eieruhr lief durch. Was normalerweise nach Sekunden zu einer Ausgabe führte, brauchte nun Minuten. Wenn sowas auftaucht, kommt es immer wieder dazu. Es lohnt sich dann, einen neuen Gesprächsfaden zu eröffnen.
Im Prompt nicht mehr "Bitte" sagen
Dies ist ungeprüft und stammt aus einem Youtube-Video, das ich nicht fertig geschaut habe.
Angeblich wird ChatGPT zickig, wenn man das Wort "Bitte" verwendet. Angeblich würde es dann Kommandos nicht zwingend befolgen oder Aufgaben nicht vollständig korrekt tun.
Ich habe damit keine Erfahrungen und kann es mir auch nicht vorstellen. Aber wer bis hierher liest: Probiert es mal aus, so direkt mit ChatGPT zu sprechen, wie man mit einem Computerprogramm sprechen sollte. In zwei, drei Wochen werde ich die Veröffentlichung meines 2. Bands vorbereiten. Meine Erfahrungen werde ich dann hier ergänzen.
Kommentare
Einen Kommentar schreiben