Outtake aus Mooyan 4: Lasitas Seelsorgesitzungen
von Thomas Poppner
Lasita hätte an den Wolkenfelsen die Empfehlung erhalten, dem Bienenorden beizutreten. Aber die Gespräche dort waren offenbar zu langatmig.
Ich fand das durchaus interessant. Denn ich mochte an den Texten, dass mehr über Lasitas Denken offenbart wurde. Aber auch ich war immer irgendwie froh, wenn ich mit diesen Stellen durch war.
In den Wolkenfelsen
»Seid ihr von Sinnen?«
»Niemand hier ist von Sinnen, ehrenwerte Lasitan.«
»Dann scherzt Ihr.«
»Wir scherzen auch nicht hier, an den Sûq-Brahaidan.«
»Was Ihr mir vorschlagt, ehrenwerte Stimme, ist absolut inakzeptabel.«
»Ihr habt meinen Vorschlag ja noch nicht einmal vollständig vernommen, ehrenwerte Lasitan.«
»Das, was Ihr sagtet, reicht bereits. Ihr legt mir nahe, mich denen zuzuordnen, die Ihr die Bienen nennt – einem Orden von Lustsklavinnen.«
»Der Orden der Bienen, ehrenwerte Lasitan, ist Teil des Kriegerkonglomerats, dem Ihr angehören wolltet.«
»Ich wollte eine Wächterin werden.«
»Und die Wächterinnen gehören auf Faria dem Kriegerkonglomerat an.«
»Mein vorrangiges Ziel war es aber, Wächterin zu werden und nicht dem Kriegerkonglomerat anzugehören.«
»Ihr könnt nicht das eine ohne das andere sein, ehrenwerte Lasitan. Und Ihr müsst Euch auch einem Orden zuordnen.«
»Sind Wächterinnen im Orden der Bienen?«
»Nein.«
»Wie kommt Ihr dann darauf, mir die Mitgliedschaft in diesem Orden nahezulegen?«
»Ihr seid an einem Ort des Suchens und des Findens, ehrenwerte Lasitan. Es geht nicht darum, etwas gegen Euren Willen zu tun. Es geht darum, Euren Horizont zu weiten.«
»Horizont zu weiten? Ich sehe keinen Horizont. Alles, was ich sehe, ist weiß-grauer Nebel um mich herum.«
»Ihr seht keinen Nebel, ehrenwerte Lasitan. Ihr seht Wolken, die sich hier oben in der Bergspitze verfangen.«
»Das ist doch das Gleiche.«
»Es mag beides gleiche Auswirkungen haben, ehrenwerte Lasitan. Doch Nebel ist Dunst, der vom Boden aufsteigt …«
»Und Wolken steigen nicht vom Boden auf?«
»Wolken sammeln sich in der Höhe. Nebel sammelt sich in den Tälern.«
»Und Ihr wollt sagen, dass ich mich von der Höhe ins Tal begeben soll. Von der Wächterin zur Lustsklavin?«
»Auf Faria gibt es keine Lustsklavinnen, ehrenwerte Lasitan. Der Orden der Bienen ist hoch anerkannt. Und Euer Gleichnis von den Wolken und dem Nebel. Ihr selbst habt die hohen Wolken mit dem niederen Nebel verwechselt. Und doch hat beides seinen Zweck. Keines davon ist unnütz.«
»Die Wolken haben sicher ihren Zweck, weil sie eines Tages Regen bringen. Aber welchen Zweck, ehrenwerte Stimme – welchen Zweck hat der Nebel?«
»Ihr möchtet vom Konglomerat der Krieger aufgenommen werden, ehrenwerte Lasitan. Der Nebel hat schon manchen Weg beeinflusst. Der Nebel kann ein starker Verbündeter sein.«
»Ich eigne mich trotzdem nicht zur Lustsklavin.«
»Der Orden der Bienen besteht nicht aus Lustsklavinnen. Und sobald der Nebel verflogen ist, stehen Euch unsere Bibliotheken offen. Hier könnt Ihr Euch informieren, welche Siege die Bienen auf welche Weise errungen oder unterstützt haben. Die Bienen sind sehr angesehen in unseren Land. Und Ihr könnt von Glück sagen, dass keine von ihnen zugegen ist. Gegen den Begriff Lustsklavin würde sich sicher jede von ihnen verwehren.«
»Aber nachdem, was ich gehört habe …«
»Würde es nicht Sinn machen, ehrenwerte Lasitan, das, was Ihr gehört habt, einmal beiseitezunehmen. Nun, da Ihr hier seid, solltet Ihr Euch mit dem beschäftigen, was tatsächlich ist.«
»Ich wollte eine Wächterin werden.«
»Ihr sagtet in unserem letzten Gespräch, ehrenwerte Lasitan, dass Ihr Euch nicht vor dem Tod fürchtet. Dass Ihr Euer Leben in den Dienst einer Sache stellen wolltet.«
»Ja, aber doch nicht …«
»Aber doch nicht auf eine Weise, ehrenwerte Lasitan, mit der nachweislich Kriege gewonnen und verloren wurden? Der Orden der Bienen gründete sich nicht aus einer Laune heraus, sondern weil dieses Land, auf dem Ihr steht, vorzeiten von tatsächlichen Lustsklavinnen aus dem Egyras unterwandert wurde.«
»Aber …«
»Euer Aber bedeutet, dass Ihr den Pfad des Suchens und des Findens verlassen habt. Kehrt zu diesem Pfad zurück. Niemand zwingt Euch in den Orden der Bienen.«
»Warum schlagt Ihr ihn mir dann immer noch vor? Der Vorschlag ist erledigt – ich verwerfe ihn!«
»Es gibt eine Regel, hier oben an den Sûq-Brahaidan, ehrenwerte Lasitan. Wenn Euch ein Vorschlag unterbreitet wird, so werdet Ihr Euch mit diesem Vorschlag auseinanderzusetzen haben. Ihr werdet vollständig verstehen, worum es bei dem Vorschlag geht. Ihr werdet Euch zumindest gedanklich auf neue Wege einlassen. Ihr werdet Euch dabei nicht von Euren ersten Emotionen leiten lassen, sondern Ihr werdet verstehen, warum man Euch welchen Vorschlag gemacht hat.
Aus dem Was, dem Warum und dem Wozu werdet Ihr Euch eine Meinung bilden. Und diese Meinung wird dann Eure Meinung sein.«
»Ich habe mir bereits eine Meinung gebildet.«
»Ja, Ihr habt sie Euch gebildet – aus dem Was.«
»Gut, ehrenwerte Stimme. Ich verstehe, was Ihr mir sagen wollt:
Ihr habt einen Vorschlag unterbreitet und ich habe nun verstanden, welcher Vorschlag es ist. Das Was ist also geklärt.
Nun habe ich zu verstehen, warum Ihr mir diesen Vorschlag gemacht habt – also, auf welcher Basis. Und wozu – welchem Zweck dieser Vorschlag also dienen soll.«
»Ihr seid eine gelehrige Schülerin, ehrenwerte Lasitan.«
»Und Ihr seid eine schlechte Lügnerin, ehrenwerte Stimme.«
Auf den Sûq-Brahaidan – den Wolkenfelsen
»Ihr seid eine Prinzessin!«
»Ja, ich bin eine Prinzessin. Und Ihr seid die ehrenwerte Leiterin des Bienenordens?«
»Meisterin. Die Leiter der Orden heißen bei uns Meister. Und ich verstehe nicht, warum Ihr dem ehrenwert eine so sonderbare Betonung beimesst, ehrenwerte Lasitan.«
»Es ist … ach, nichts.«
»Man sagte mir, Ihr wärt bereit zu einem Gespräch mit mir. Ich bin durch das halbe Land gereist, um dieses Gespräch mit Euch zu führen, ehrenwerte Lasitan.«
»Ja, ich verstehe. Ich entschuldige mich.«
»Ihr seid enttäuscht. Ihr wolltet eine Wächterin werden. Ihr wolltet kämpfen für das, was Euch wichtig ist.«
»Ist es falsch, das zu wollen?«
»Es ist niemals falsch, über sich hinauswachsen zu wollen, ehrenwerte Lasitan.«
»Wie ist Euer Name, ehrenwerte …?«
»Mein Name wurde Euch genannt, ehrenwerte Lasitan. Ich saß drei Tage auf dem Rücken eines Pferdes, um heute bei Euch zu sein.«
»Ich muss mich bei Euch entschuldigen, ehrenwerte Meisterin.«
»Naisan. Mein Name ist Naisan.«
»Ehrenwerte Naisan. Ich bin hier, weil ich Wächterin werden wollte. Man hat mich davon überzeugt, dass ein Gespräch mit Euch nicht schaden kann. Und so habe ich unser Gespräch auch eingeschätzt: Als ein Gespräch, das nicht schadet, aber auch nichts bringen wird. Nun verstehe ich, dass Ihr einen großen Aufwand betrieben habt, um mit mir zu reden. Warum?«
»Es wurde Euch gesagt, warum, ehrenwerte Lasitan.«
»Mir wurde aufgezeigt, dass der Weg zur Wächterin für mich versperrt sei. Dass ich aber eine Eurer Bienen werden könnte.«
»Und diese Aussicht wühlte Euch auf. Sie verärgerte Euch.«
»Ich … ich …«
»Sie verärgerte Euch so sehr, dass Ihr am liebsten zum Feind überlaufen würdet.«
»Zum Feind überlaufen? Seid Ihr deshalb hier, um mich davon abzuhalten, zum Feind überzulaufen?«
»Ich bin zu Euch gekommen, an die Sûq-Brahaidan, ehrenwerte Lasitan. Und ich bin nicht zum ersten Mal hier. Um Euch von vornherein die Wahrheit zu sagen: Ich war einst an Eurer Stelle. Das ist auch der Grund, warum ich mit Euch persönlich spreche und nicht eine der Stimmen.«
»Wer sind denn eigentlich diese Stimmen?«
»Das sind die Mönche.«
»Meine Stimme war weiblich.«
»Es sind auch Schwestern dabei. Viele Stimmen gibt es im Kloster an den Sûq-Brahaidan. Sie alle haben das Ziel, Euch weiterzubringen.«
»Sie wollen mich reparieren wie ein kaputtes Wagenrad.«
»Nein, ehrenwerte Lasitan, da täuscht Ihr Euch. Stellt Euch das Leben als ein Legespiel vor. Vielleicht seid Ihr ein Wagenrad, ehrenwerte Lasitan. Die Aufgabe der Mönche ist nun, zu schauen, wohin Ihr passt.«
»Wohin ich passe?«
»Was immer Ihr seid – Ihr möchtet etwas anderes sein, als das, wofür Ihr bestimmt seid. So, als ob das Wagenrad sagt: ›Nein, ich möchte kein Wagenrad sein, ich möchte lieber eine Sitzbank sein, ein Polster, worauf die feinen Herren sitzen. Oder vielleicht die Peitsche in der Hand des Kutschers. Vielleicht auch das Joch über den Pferden.‹
Tatsache ist aber: Für eine Peitsche seid Ihr zu unflexibel. Um eine Sitzbank zu sein, seid Ihr nicht weich genug. Und ein Joch für die Pferde könnte man durchaus aus Euch machen. Aber man müsste Euch vorher brechen.
Wäre es nicht einfacher, das zu sein, was Ihr seid – ein Wagenrad?«
»Ja, eine Stimme redete bereits ähnlich mit mir …«
»Und nun spricht mit Euch ausgerechnet die Meisterin des Bienenordens.«
»Warum die Bienen, ehrenwerte Naisan? Warum ausgerechnet die Bienen?«
»Unsere Strukturen, ehrenwerte Lasitan, sind für Euch immer noch undurchschaubar. Ihr wolltet eine Wächterin werden. Die Wächter sind Teil des Krieger-Konglomerats, wie auch die Soldaten zu Fuß, zu Pferd, die Artillerie. Und ebenso die Bienen.«
»Und auch die Bienen?«
»Das Konglomerat des Krieges setzt sich aus vielen unterschiedlichen Disziplinen zusammen.«
»Und Orden tun das auch?«
»In einem kleineren Rahmen schon. Es gibt Bienen, ehrenwerte Lasitan, die sehen Ihre Aufgabe darin, Männern die Sinne zu rauben. Einige von Ihnen möchten bewusst hinter die feindlichen Linien. Andere wollen im eigenen Lager bleiben, um die eigenen Krieger zu unterstützen.«
»Zu unterstützen?«
»Im Krieg, geht es um weit mehr, als um körperliche Stärke.«
»So, so.«
»Es wurden schon Schlachten gewonnen, ehrenwerte Lasitan, weil die Bienen nicht von der Seite ihrer Krieger wichen. Als die Soldaten bereit waren, alles aufzugeben, gaben sie doch nicht ihre Bienen auf. Der Krieg macht mürbe wie jeder Konflikt.«
»Aber wenn ich doch ein Wagenrad bin, wie Ihr sagt, ehrenwerte Naisan. Dann müsste ich mich doch in irgendeiner Weise auch als Wagenrad fühlen. Ich müsste doch eine Ahnung davon haben, wofür ich bestimmt bin.«
»Ein Vogel, der in der Gefangenschaft aufgewachsen ist, ehrenwerte Lasitan, erachtet mitunter Fliegen als eine Krankheit.«
»Ihr möchtet mich also zum Fliegen bringen.«
»Ja, aber in anderer Weise als Ihr denkt.«
»Ich kann mich aber weder hinter den feindlichen Linien sehen, noch bei Euren Kriegern, um sie zum Kampf zu ermuntern.«
»Das ist richtig, ehrenwerte Lasitan.«
»Ihr stimmt mir zu?«
»Natürlich stimme ich Euch zu.«
»Und wo würdet Ihr meinen Platz sehen?«
»Wir werden Euch das Kämpfen beibringen, ehrenwerte Lasitan.«
»Mir, Kämpfen? Aber das …«
»Ihr werdet niemals eine nennenswerte Stärke erlangen. Wir werden Euch vertraut machen mit Waffen und Ihr werdet um ein Vielfaches stärker werden, als Ihr seid. Doch Ihr werdet weit davon entfernt sein, in den Krieg zu ziehen oder die Aufgabe einer Wächterin zu übernehmen. Ihr werdet stärker sein in der Selbstverteidigung. Das werdet Ihr auch brauchen.«
»Ich verstehe immer noch nicht, wo mein Platz sein soll.«
»Euer Platz, ehrenwerte Lasitan, wird sich Euch erschließen.«
»Aber ich denke …«
»Nein, Ihr habt noch überhaupt nichts verstanden. Ihr glaubt, der Orden der Bienen hat Männern zu Diensten zu sein.«
»Hat er das etwa nicht?«
»Beantwortet mir eine Frage, Lasitan aus dem Drachenland: Welchen Sinn soll es haben, eine Prinzessin, die gelernt hat zu führen, die es nicht gewohnt ist, dass man ihr widerspricht – eine solche Prinzessin in eine Situation zu bringen, in der sie gefügig sein soll?«
»Geht es darum nicht im Orden der Bienen?«
»Es geht darum, ehrenwerte Lasitan, das, was Ihr seid, als Waffe einzusetzen.«
»Was Ihr seid …? Aber was bedeutet denn das, außer anderen gefügig zu sein?«
»Ihr habt immer noch nichts verstanden, ehrenwerte Lasitan.«
»Dann erklärt es mir.«
»Eure Stärke ist Eure Hartnäckigkeit. Eure Schwäche ist Euer Körperbau.«
»Gut. Das habe ich nun oft genug vernommen.«
»Macht Eure Schwäche zu Eurer Stärke. Und seid Euch der Schwächen Eurer Stärke bewusst.«
»Meine Schwäche zu meiner Stärke? Ja, genau das hatte ich doch vor.«
»Hattet Ihr das?«
»Hattet Ihr mir nicht eben noch angeboten, mich in Kriegskünsten zu unterweisen?«
»Ja, aber ich hatte auch gesagt, dass Ihr niemals eine große Kämpferin werdet.«
»Ihr sprecht in Rätseln wie diese Mönche, die Stimmen.«
»Nein, ehrenwerte Lasitan, ich rede klar und deutlich, aber Euer Weltbild ist so gefestigt, dass Ihr keine anderen Gedanken zulasst als die, welche Ihr bereits habt. Das meine ich, wenn ich sage, dass Ihr Euch Eurer Schwächen innerhalb Eurer Stärke bewusst werden sollt.«
»Meine Stärke ist meine Hartnäckigkeit, sagtet Ihr.«
»Eure mentale Stärke ist Eure Stärke. Doch diese verbaut Euch manchmal – wie auch jetzt gerade – den Weg zur Wahrheit.«
»Ihr wollt mir sagen, dass ich so festgefahren sei in meinen Ansichten, dass ich nicht verstehen kann, von was Ihr sprecht?«
»Ich will es noch einmal wiederholen, ehrenwerte Lasitan aus dem Drachenland: Macht Eure Schwäche zu Eurer Stärke und seid Euch der Schwächen Eurer Stärke bewusst.«
»Ich glaube, ich verstehe langsam. Zumindest einen Teil. Wenn meine Stärke die Hartnäckigkeit ist, so ist meine Schwäche, dass ich so überzeugt sein könnte, auf dem richtigen Weg zu sein, dass ich den falschen Weg gehe und andere mir auf diesem falschen Weg folgen könnten, wenn ich sie dorthin führen würde. Denn unzweifelhaft folgen mir Menschen.«
»Ich bin versucht zu applaudieren, ehrenwerte Lasitan.«
»Und meine Schwäche? Meine Schwäche ist meine körperliche Unterlegenheit? Wie mache ich diese Schwäche zu meiner Stärke? Indem ich trainiere?«
»Ihr könnt trainieren, so viel Ihr möchtet, ehrenwerte Lasitan. Ihr werdet besser werden. Ihr werdet sogar viel besser werden.«
»Aber?«
»Aber dieser Ort, ehrenwerte Lasitan, ist nicht dazu gemacht, Euch Dinge zu sagen, die sein mögen …«
»Sondern …«
»Euch begreifen zu lassen, was ist.«
»Mit anderen Worten: Ich muss selbst darauf kommen?! Wenn ich meine Schwäche zu meiner Stärke mache, so meint Ihr damit nicht, dass ich eine bessere Kämpferin werden soll.«
»Zumindest nicht in körperlicher Gewalt, ehrenwerte Lasitan.«
»Gut, ehrenwerte Naisan. Als ich damals in Tañua von der Beluga ging, warf ich damit alle Pläne durcheinander, die andere mit mir hatten. Möglicherweise habe ich damals meiner inneren Stimme mehr vertraut, als den Absprachen mit meinen Freunden.«
»Möglicherweise habt Ihr das.«
»Und dies ist meine Schwäche. Als ich dann mit der Tandes die Treppe von Jandor erklomm, sprangen mir zwei Eurer Grünschnäbel nach. Sie schwammen bis zur Treppe. So wichtig war es ihnen.«
»Warum glaubt Ihr, taten sie das, ehrenwerte Lasitan?«
»Ich glaube, ich verstehe langsam.«
»Was versteht Ihr?«
»Sie wollten weder mich noch die Tandes allein lassen.«
»Warum das?«
»Weil … weil wir schwach waren. Meine Stärke ist also meine Willenskraft, meine Schwäche meine Körperkraft.
Ich soll mir der Schwäche meiner Stärke bewusst sein. Meine Willenskraft kann mich also auf eine falsche Fährte führen. Ich habe in der Vergangenheit zu oft nach eigenem Gutdünken gehandelt.
Außerdem soll ich meine Schwäche zu meiner Stärke machen. Wenn ich richtig verstehe, was Ihr mir verdeutlichen wollt, dann: Wenn ich überzeugt bin, in eine Richtung zu gehen, soll ich ausnutzen, dass andere mich für schwach halten. Ich soll ausnutzen, dass sie mich beschützen wollen. Ich soll andere dorthin bringen, wohin sie alleine nicht gehen würden.«
»Ihr habt verstanden, was ich Euch sagen wollte, ehrenwerte Lasitan. Von Eurer Sorte haben wir nicht viele bei uns. Aber die, welche wir haben, sind uns außerordentlich teuer.«
»Aber, wenn Ihr mir die Frage gestattet, ehrenwerte Naisan: In welcher Situation kann ich Euch mit diesen Begabungen nutzen.«
»Ihr habt uns bereits genutzt, ehrenwerte Lasitan.«
»Ich habe bereits genutzt?«
»Ihr habt den Ort gerade erst erwähnt.«
»Ihr meint, ich habe genutzt, indem ich die Tandes dort nach Jandor begleitet habe?«
»Niemand weiß, was geschehen wäre, wenn Ihr das nicht getan hättet. Dieser Lebensabschnitt ist erledigt. Es bringt nichts, in der Vergangenheit zu verweilen und zu debattieren, was geschehen wäre, wenn Ihr dieses oder jenes getan hättet.«
»Aber Ihr sagtet, ich sei von Nutzen gewesen.«
»Ihr wart sogar sehr von Nutzen.«
»Die Treppe von Jandor. Das Kloster von Jandor. Der Abt von Jandor. Ihr meint den Junker, richtig? Der Junker, der Abt. Ich war überzeugt davon, dass er jetzt der Abt von Jandor ist. Er wollte aber unbedingt der Junker bleiben.«
»Er wird sich seiner Fähigkeiten bewusst werden und daran habt Ihr einen wesentlichen Anteil.«
»Ich habe einen Anteil?«
»Niemand sonst hätte diesen jungen Menschen dort nach Jandor gebracht, wenn nicht Ihr mit Eurer Hartnäckigkeit. Und Eure Hartnäckigkeit wird es sein, die wir weiter benötigen.«
»Und das im Orden der Bienen?«
»Euer Orden, ehrenwerte Lasitan aus dem Drachenland, ist zweitrangig. So auch Euer Konglomerat. Wichtig ist, in welcher Liga man Euch einsetzt.«
»Und für welche Liga bin ich bestimmt?«
»Ihr werdet diesen jungen Fischer wiedersehen. Und Ihr werdet mit ihm auf eine Mission gehen, auf der ihn sein Ausbilder nicht begleiten kann.«
»Sein Ausbilder? Halavir? Ist er verstorben?«
»Nein, Halavir erfreut sich bester Gesundheit. Und er bereitet den Junker auf seine Aufgabe vor. Eine Aufgabe, die er aber alleine nicht stemmen kann.«
»Ich glaube, ich verstehe langsam. Meine Aufgabe sind keine Liebesdienste.«
»Eure Aufgabe ist größer, ehrenwerte Lasitan.«
»Meine Aufgabe besteht darin, dort stark zu sein, wo der Junker schwach ist, um ihn auf den richtigen Weg zu führen. Dabei soll ich auch meine Schwäche einsetzen: Sodass ich mich selbst in Gefahr bringe und er mich beschützen muss.«
»Und gleichzeitig, ehrenwerte Lasitan aus dem Drachenland, habt Ihr Euch bewusst zu sein, dass Euer Sturkopf gelegentlich hinterfragt werden muss. Und dass Ihr Euch nicht in Gefahren stürzen dürft, welche die Mission gefährden. – Möchtet Ihr mit Eurer Ausbildung im Orden der Bienen beginnen?«
»Ja, ehrenwerte Naisan. Ich glaube, das möchte ich.«
Kommentare
Einen Kommentar schreiben